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Mountainbiken

Wie unter Wohnorte zu lesen bin ich in Dinslaken aufgewachsen. Der öffentliche Personennahverkehr in diesem Städtchen verdient nur die Bezeichnung unzumutbar - mag sein, dass das Prinzip erst bei größeren Städten brauchbar funktioniert.
Jedenfalls ist man als Kind und Jugendlicher dazu gezwungen ein Fahrrad zu benutzten, wenn man halbwegs mobil sein will. Zur Schule bin ich natürlich auch mit dem Rad gefahren. Fahrräder hatten bei mir immer eine recht kurze Lebenszeit, was auch damit zusammenhing, dass ich eine Vorliebe für Trampelpfade und Ausflüge in Wälder hatte.
Trotzdem sah ich die aufkommende Mountainbike Welle in den frühen Neunzigern skeptisch, da die Räder ähnlich wie Geländewagen auch zu 95% auf befestigten Strassen genutzt wurden und mehr aus modischen Gründen gekauft wurden. Die daraufhin propagierten ATBs (All-Terrain Bikes) waren dann endgültig Blödsinn: Durch Schutzbleche, Gepäckträger und Funzellicht wurde die Geländetauglichkeit minimiert, durch die breite Bereifung auf Strassen unnötig Fahrwiderstand produziert. Da war dann der nächste Schritt zum Trekking Bike wesentlich sinnvoller.
Mein Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und Mobilität führt dazu, dass ich mir mit 16 einen Roller zulegte. Der kam sehr passend, da mein damaliges Fahrrad mal wieder Schrott war. Ich fuhr fast ein Jahr lang gar kein Rad mehr - und merke, dass ein paar Treppen mich deutlich nach Luft schnappen ließen. Ich hätte joggen gehen können, doch durch die im Sportunterricht aufgezwungen Wald- und 1000m Läufe war mir das verhasst - erst Jahre später habe ich entdeckt, dass Laufen keine Qual sein muss. Also erinnerte ich mich daran, dass Entdeckungs-Touren in die heimischen Wälder mir eigentlich immer viel Spaß gemacht haben und legte mir ein Mountainbike zu - als Sportgerät, erst in zweiter Linie um auch mal zur Schule oder zum Bäcker zu fahren.
Was soll ich sagen, die Entscheidung meine letzte gesparte Knete in ein halbwegs brauchbares Fahrrad zu stecken hat mein Leben verändert. Hört sich dramatisch an, aber seit ich im Frühjahr '94 erstmals eine Tour unternommen habe, ist das Radfahren ein Bestandteil meines Lebens; ein sehr wichtiger. Genau kann ich gar nicht sagen, was daran so toll ist oder weshalb es so wichtig für mich ist. Es sind viele Aspekte, die es letztlich so bedeutend machen. Das ich mittlerweile körperlich halbwegs fit bin ist ein angenehmer Nebeneffekt. Sport im Allgemeinen und Radfahren im Besonderen sind für mich Ausgleich für die Arbeit, bei dem ich körperlich inaktiv bleiben muss. Dabei kann man den Kopf wieder frei bekommen. Zusätzlich brauche ich dann und wann auch mal eine richtige körperliche Arbeit, wie Vorgärten pflastern oder Zimmer renovieren, bei denen man ein Ergebnis der Arbeit sehen und anfassen kann, um halbwegs ausgeglichen zu sein - aber das ist eine andere Geschichte.

So sollte ein MTB-Rahmen nicht aussehen

So recht ausdrücken kann ich nicht, wie mountainbiken mir manchmal eine Ahnung für den Sinn des Lebens gibt. Einen ganz netten Versuch, die Wirkung von Ausdauersport zu beschreiben, hat Alan Sillitoe in seinem Buch "The loneliness of the long-distance runner" unternommen. Es geht um einen jugendliche Straftäter, der während seines Aufenthalts in einer Besserungsanstalt für Langenstreckenläufe trainiert. Die poetischen Passagen, in denen das Erlebnis des Laufes geschildert wird, kommen meinen Erfahrungen recht nahe. Ich zitiere mal ein paar Sätze aus der englischen Ausgabe und hoffe, niemand verklagt mich wegen Urheberrechtsverletzungen:
"Because when on a raw an frosty morning I get up at five o' clock, [...] I feel like the first and last man on the world, both at once, if you can believe what I'm trying to say. [...]
So as soon as I tell myself I'm the first man ever to be dropped into the world, and as soon as I take that first flying leap out into the frosty grass of an early morning when even birds haven't the heart to whistle, I get to thinking, and that's what I like. I go my rounds in a dream, turning at lane or footpath corners without knowing I'm turning, leaping brooks without knowing they're there and shouting good morning to the early cow-milker without seeing him. It's a treat, being a long-distance runner, out in the world by yourself with not a soul to make you bad-tempered [...]. Sometimes I think that I've never been so free as during that couple of hours when I'm trotting up the path out of the gates and turning by that bare-faced, big-bellied oak tree at the lane end. Everything's dead, but good, because it's dead before coming alive, not dead after being alive. That's how I look at it. Mind you, I often feel frozen stiff at first. I can't feel my hands or feet or flesh at all, like I'm a ghost who wouldn't know the earth was under him if he didn't see it now and again through the mist. But even though some people would call this frost-pain suffering if they wrote about it to their mams in a letter, I don't, because I know that in half an hour I'm going to be warm, that by the time I get to the main road and am turning on to the wheatfield footpath by the bus stop I'm going to feel as hot as a potbellied stove and as happy as a dog with a tin tail. [...]
By the time I'm half way through my morning course, when after a frost-bitten dawn I can see a phlegmy bit of sunlight hanging from the bare twigs of beech and sycamore, and when I've measured my half-way mark by the short-cut scrimmage down the steep bush-covered bank and into the sunken lane, when still there's not a soul in sight and a sound except the neighing of a piebald foal in a cottage stable that I can't see, I get to thinking the deepest an daftest of all. The governor would have a fit if he could see me sliding down the bank because I could break my neck or ankle, but I can't not do it because it's the only risk I take and the only excitement I ever get [...], scratching myself to bits and almost letting myself go but not quite. It's the most wonderful minute because there's not one thought or word or picture of anything in my head while I'm going down. I'm empty, as empty as I was before I was born, and I don't let myself go, I suppose, because whatever it is that's farthest down inside me don't want me to die or hurt myself bad. And it's daft to think deep, you know, because it gets you nowhere...."

Wo rohe Kräfte sinnlos walten...

Übrigens weicht der Rest des Buches in Stil und Inhalt teilweise deutlich von diesen Passagen ab und ist meiner Meinung nach nicht halb so lesenswert.
Noch ein paar Nachsätze zu dem Zitat. Es gibt ja auch Leute, die immer in Gruppen biken. Ich habe nichts dagegen, auch mal in Begleitung eine Tour zu machen, aber im Allgemeinen ist es bei mir so, dass ich tatsächlich beim Radfahren die Einsamkeit suche. Alleine im Wald kann ich am besten zu mir selbst finden.
Sillitoe beschreibt den Lauf an einem kalten Wintermorgen. Dadurch soll jetzt aber nicht der Eindruck aufkommen, dass seien die einzigen Bedingungen, unter denen Laufen oder Mountainbiken Spaß machen. Tatsächlich hat jede Tageszeit, jedes Wetter und jede Jahreszeit ihre Reize. Das sollten sich auch mal all die Schönwetter Mountainbiker hinter die Ohren schreiben. Wer noch nie an einem diesigen, verregneten Tag über matschigen Waldboden geschlittert ist, weiß nicht was Mountainbiken eigentlich ausmacht.
Schließlich finde ich es noch ganz nett, wie der Autor beschreibt, das Teile des Laufes automatisch ablaufen. Auch beim Radfahren gibt es Strecken, bei denen man gar nicht merkt, dass man sie fährt. Dabei kann man dann auch wirklich in Gedanken versinken und nachdenken. Im Gegensatz dazu steht im Zitat der halsbrecherische Zwischensprint, bei dem der Erzähler an gar nichts mehr denkt. Auch das gibt beim biken, sogar in mehren Situation. Es kann sein, das man sich voll auf den Weg konzentrieren muss, um überhaupt weiter zu kommen. Es kann sein, dass man just for fun oder weil man sonst nicht weiterkommt, an die Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit geht, und deshalb an nichts anderes denkt. Oder aber man ist tatsächlich in einer Situation, in der man sich den Hals brechen könnte, "taking the only risk and excitement we ever get".
Letzteres ist für viele Mountainbiker wohl auch ein Hauptmotiv für die Ausübung des Sportes. Mir geht es eigentlich nicht um den Thrill. Das Wort Mountain Bike impliziert ja eigentlich eine Ausübung des Sports in den Bergen, aber das lässt mein Wohnort leider nicht zu. Ich habe nichts gegen einen netten Downhill, würde mich aber nie mit einem Lift hochbefördern lassen um mich dann mit einem Monsterbike ins Tal zu schmeißen. Wenn ich Zeit habe, dann packe ich mein Rad und fahre in gebirges Gelände, aber für meine normale Runde reicht es mir, dass der Weg nicht befestigt ist.

Garantie? - Unsachgemäßer Gebrauch...

Meine erste ernsthafte Bergerfahrung mit dem Bike habe ich erst 2002 gemacht, bei einem Urlaub in Österreich. Den habe ich extra dokumentiert:

Österreich 2002

Seitdem zieht es mich öfter in die Berge, habe seitdem einige Ecken der Eifel und des Sauerlandes erkundet, war in der fränkischen Schweiz radeln und auch im bayrischen Wald.
Die bisherigen Höhepunkt meiner Bike-Aktivität waren meine beiden Alpenüberquerungen im Sommer 2005 und 2007:
Alpencross 2005

Alpencross 2007

Ich will nicht verschweigen, dass Biken nicht unbedingt förderlich für die Landschaft ist. Auf manchen Strecken sieht man allzu deutlich, dass das Biken dem Wald nicht gerade gut tut.
Trotzdem halte ich Mountainbiken für ökologisch sinnvoll. Es verursacht Schäden, keine Frage. Die kann man aber minimal halten, indem man nur vorhandene Wege nutzt und nicht mutwillig durch irgendwelche Schonungen eiert. Der positive Effekt für die Umwelt liegt darin, dass das Biken ein Gefühl für die Umwelt schafft. Ein Stadtkind könnte sich durchaus die Frage stellen, warum zum Geier er eigentlich die Umwelt schützen soll. Man muss die Natur erlebt, erfühlt haben, um von sich aus Bereit zu sein, nachhaltig zu handeln. Praktizierter Umweltschutz ist schließlich oft auch ein Opfer, ein zusätzlicher Aufwand, zu dem man erstmal bereit sein muss. Und wer regelmäßig mit dem Rad fährt, der lässt auch automatisch das Auto öfter in der Garage.

Hat aber gar nicht wehgetan...

Jetzt habe ich auf dieser Seite wieder eine ziemliche Textwüste produziert, die eigentlich unzumutbar für den Surfer ist. Um die Sache wenigstens ein bisschen aufzulockern, habe ich ein paar Bilder eingestreut. Und um die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu halten erkläre ich erst jetzt, was es damit auf sich hat. Ich war dem Biken-Virus erst seit zwei Monaten verfallen, da düste ich eine kleine Abfahrt in den so genannten Testerbergen hinunter. Nicht lang, aber Steil. Ich war ziemlich mutig, bremste wenig und war ziemlich flott. Nach einem kleinen Knick im Weg bemerkte ich auf einmal einen fetten Baumstamm quer über den Weg, höchstens noch drei Meter vor mir. Ich bremste noch voll, aber viel zu spät. Ich bin absolut gerade auf diesen Baumstamm gedonnert, und die Wucht des Aufpralls ließ die Vorderradgabel wegknicken - bis das Vorderrad auf den Rahmen prallte. Da war immer noch reichlich Energie, die abgebaut werden wollte, und das Rad hielt erstaunlicher weise stand - also knickte der Cr-Mo Rahmen an zwei Stellen ein. Irgendwie bin ich dann noch über den Lenker gesegelt und auf dem Waldboden gelandet, allerdings so gut wie ohne eine Schramme.
Wenn ich mich recht erinnere, konnte ich, nachdem ich die Gabel ein wenig vorgebogen hatte, sogar noch mit dem Rad nach Hause fahren. Danach war allerdings ein neuer Rahmen fällig.
Und dann gibt es da noch eine kleine Narbe unter meinem rechten Mundwinkel, aber die Geschichte erzähle ich ein anderesmal....


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